Im Mai 2024 will die WHO (Weltgesundheitsorganisation) eine Neufassung der bereits bestehenden Internationalen Gesundheitsvorschriften IGV und einen neuen Pandemievertrag verabschieden. Vor allem der neue Pandemievertrag ist geprägt von den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie. Nachdem wir in den Jahren von 2020 bis heute erleben konnten, wie eine gesundheitliche Notlage das ganze gewohnte Leben weltweit verändert, ja existenzbedrohend erschweren kann, ist eine Anpassung in den internationalen Verträgen doch eine Verbesserung für die Gesundheit der Menschen weltweit – oder?

Die Gründung der WHO

1948 wurde die Weltgesundheitsorganisation WHO von 61 Staaten gegründet. Sie finanzierte sich in ihren Gründungsjahren ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge, die entsprechend dem Bruttosozialbetrag der jeweiligen Länder berechnet waren. Das heißt, reiche Mitgliedsstaaten zahlten mehr als arme. Die WHO definierte bereits 1948 Gesundheit als einen Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens, und nicht nur als das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Angesichts der auch gesundheitlichen Katastrophen durch die beiden Weltkriege und der Erfahrungen, dass sich in diesem Kontext pandemische Erkrankungen gut ausbreiten können, wurde mit den Internationalen Gesundheitsvorschriften IGV versucht, ein für alle Menschen geltendes Recht auf Gesundheit zu etablieren.

Die Ottawa Charta

1986 wurde als Ergebnis der ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO die Ottawa-Charta verabschiedet. In ihr wurde der Begriff der „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ verabschiedet und der Gesundheitsbegriff erweitert. Als grundlegende Bedingungen um dieses Ziel von Gesundheit für alle zu verwirklichen, wurden die Voraussetzungen für ein gesundes Leben benannt: Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, ein stabiles Ökosystem, ein nachhaltiger Umgang mit Naturreserven, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit.

Lebenserwartung und medizinische Versorgung

Die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bezogen auf die gesundheitliche Situation der Weltbevölkerung könnte nicht größer sein. Laut den statistischen Angaben[1] haben 40 % der Weltbevölkerung keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Gemessen wird dabei jedoch nur die gesundheitliche Versorgung durch die an Universitäten gelehrte Medizin. Eine beispielsweise in der Geburtshilfe in Mexiko gut versorgte Bevölkerung durch traditionelle Maya-Hebammen wird ignoriert, auch dann, wenn die Hebammen zeigen, dass unter ihrer Obhut praktisch kaum Geburtskomplikationen oder Sterblichkeit von Müttern oder Kindern stattfinden, vorausgesetzt, sie können die Frau durch die ganze Schwangerschaft hindurch betreuen, so wie es in ihrer traditionellen Hebammenarbeit vorgesehen ist.

Wenn man sich die Statistik der Lebenserwartungen anschaut, dann belegt Deutschland mit einer Lebenserwartung für Frauen mit 83,4 Jahren keinen Spitzenplatz. Zwanzig Länder, darunter Spanien, Italien, Norwegen Finnland, Singapur oder Japan, verzeichnen eine höhere Lebenserwartung um ein bis über drei Jahre.[2] Sehr viel deutlicher sinkt die Lebenserwartung in den Ländern, in denen Kriege, Bürgerkriege, Unterernährung, soziale Not und Perspektivlosigkeit herrscht. Die tödlichen Folgen von alleine emotionalem Stress zeigen sich unter anderem an den Suizidzahlen für das Jahr 2019 pro   100 000 Einwohner. Während es in Italien nur 4,3 Suizide bezogen auf 100 000 Einwohner sind, beträgt die Zahl für Deutschland 8,3, für die USA 14,5, für Südafrika 23,5, die Russische Föderation 21,6 und China 6.7.

Wie zurecht in der Ottawa-Charta benannt, gehören zu einem gesunden Leben auch die individuellen und die weltweiten Lebensbedingungen. Existenzsorgen können genauso wie Belastungen durch Feinstaub oder Umweltchemikalien, Klimawandel, aber auch der Unmöglichkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden, gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge haben. Und krankheitsfördernd sind Einsamkeit, nicht eingebunden sein in ein soziales Umfeld, Stress und Konkurrenzdruck.  Um Lebensbedingungen für ein gesundes Leben zu ermöglichen, ist es unabdingbar, sich die Frage zu stellen, wie das Leben auf unserem Planeten heute organsiert ist. Da sticht es einem beinahe ins Auge, dass in einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wie im Kapitalismus oder auch Staatskapitalismus „Gesundheit für alle“ eine unerreichbare Utopie bleiben wird. Im Gegenteil, selbst der Zugang zu einer technisch immer weiter perfektionierten Medizin löst fast keines der selbst geschaffenen Gesundheitsgefahren. Diese Art des Wirtschaftens schafft eine zerstörte Welt, begünstigt immer mehr und schneller den Ausbruch neuer Pandemien, zerstört die Biodiversität, rast auf alle Kipppunkte zu, die das Leben auf dem Planeten immer schwieriger machen: für Mensch, Tier und Natur. Der lange bezweifelte Klimawandel zeigt es uns mittlerweile ständig durch Überschwemmungen selbst in Wüstengebieten wie in Dubai, durch das Korallensterben in den Meeren und so weiter. Gesundheit für alle ist unmöglich, wenn wir zulassen, dass durch Kinderarbeit Seltene Erden oder Kobalt gefördert wird oder für gute Gewinnmargen bei Schokolade die Kinder des globalen Südens ihre Haut zu Markte tragen müssen. Und „Gesundheit für alle“ wird ein Luftschloss bleiben, wenn immer mehr Kriege grausame Verwüstungen anrichten. Die entsetzlichen Bilder bombardierter Krankenhäuser und anderer ziviler Einrichtungen und Wohnungen, die Bilder von Kindern im Gaza-Streifen, denen Arme und Beine amputiert werden müssen, all das sind unfassbare Verheerungen; unter diesen Voraussetzungen werden Menschen krank und es entstehen neue Pandemien.

Würde die Ottawa-Charta ernstgenommen, müsste auch die WHO an vorderster Front dafür eintreten, dass das humanitäre Völkerrecht geachtet wird; und die internationale Gemeinschaft müsste darauf dringen, dass die Zerstörung ziviler Infrastruktur und der Zivilbevölkerung strikt geächtet wird. Also eigentlich etwas, was wir schon wissen: Keine Waffen in Kriegs- und Spannungsgebiete und internationalen Einsatz gegen das Aushungern der Zivilbevölkerung,

Sind die neuen WHO-Verträge Versuche des Krisenmanagements?

Ja, man könnte sagen, die WHO versucht über ihre Vertragsveränderungen einen Umgang mit den systemimmanenten Katastrophen, aber sie versucht gar nicht, Einfluss zu nehmen darauf, dass die Katastrophen verhindert oder vermindert werden. Rücksichtslos wird der Planet weiter verheizt. Alleine durch die Abholzung der Wälder laden wir die Tausende von Viren geradezu ein, weitere Pandemien auszulösen. Eine Politik, die nicht gewillt ist, die Ursachen all der Katastrophen wahrzunehmen und die Weichen umzustellen, hat letztlich nur noch den Krisenmodus als Option.

Die WHO ist, wie auch andere internationale Organisationen, im Laufe der Jahre praktisch privatisiert worden. Heute zählt die WHO 194 Mitglieder, aber neben den Pflichtbeiträgen werden heute 80 % der Beiträge von privaten Spendern, wie beispielsweise der Bill & Melinda Gates-Stiftung oder auch die Globale Allianz für Impfstoffe GAVI, einbezahlt. Die privaten Spender bestimmen damit auch zu 80 %, welche Maßnahmen gefördert werden und welche nicht. Bei der Corona-Pandemie wurde von dieser sehr von privaten Geldgebern bestimmten Agenda alles auf die Impfkarte gesetzt. Die Vertragsänderungen spitzen diese undemokratische, niemandem Rechenschaft schuldende WHO-Politik noch weiter zu. Die Vertragswerke sehen vor, dass der Generalsekretär der WHO praktisch mit supranationalem Recht den nationalen Regierungen gegenüber weisungsbefugt ist, wenn es zur Ausrufung einer Pandemie kommt. Und der Generalsekretär kann nach den Vertragsänderungen selbst gegen den Rat der Expertenkommission eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite und/oder eine Pandemie ausrufen. Die Delegierten und auch die ExpertInnen werden nicht demokratisch gewählt. Die bisher noch unverbindlichen Empfehlungen der WHO sollen dann als Gesundheitsvorschriften bindend werden; was bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten Impfungen, medizinische Untersuchungen oder Behandlungen anordnen können, wie auch Reise- und Handelsbeschränkungen, Isolierung, Quarantäne, Lockdowns und Kontaktverfolgung.

Wie nötig brauchen wir Meinungsfreiheit?

Und um sicherzustellen, dass sich kein Protest gegen diesen Gesundheitsnotstand entwickelt, sehen die Artikel des Vertragswerks auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Fehl- und Desinformation vor, die strikte Auflagen – man könnte es auch Zensur nennen – an Medien und soziale Netzwerke beinhalten.[3]  Wohin das führt, konnte man in den Corona-Jahren beobachten. Für Millionen und Abermillionen Euro wurden FFP2-Masken und für Unsummen verpflichtend Impfstoffe gekauft, die jetzt wieder vernichtet werden müssen. Nach und nach zeigt sich, dass die FFP2-Masken wenig hilfreich waren und die Impfungen die Ansteckungen nicht unterbrechen konnten. Das war eigentlich schon lange klar, zumindest war die öffentlich vorgetragene Behauptung, die Impfung würde die Ansteckungskette unterbrechen, in den Expertengremien von Beginn an umstritten. Aber da bereits bei Corona Sprachregelungen und die Ausgrenzung von Meinungen/Haltungen an der Tagesordnung waren, hatten die kritischen Stimmen kaum die Möglichkeit, Gehör zu finden. Und ohne kritische Stimmen wird eine alternativlose Politik gemacht. Dies mag bestimmt sein von dem Wunsch der handelnden Politiker*innen, die Bevölkerung zu schützen, aber bei der Herrschaft von 80 % privaten Spendern in der WHO, die selbst wirtschaftliche Interessen haben, und der Tatsache, dass eine kritische Öffentlichkeit an den Rand gedrängt wurde, existierte keine Möglichkeit, Fehler zu korrigieren. Und das ist fatal, wenn der wirtschaftliche Aspekt einer Entscheidung in einer Krisensituation wichtiger ist, als alle Optionen abzuwägen.

In einem Interview im SWR am 4.5.2020 kritisierte die damalige Präsidentin der Hilfswerke „Brot für die Welt“ und „Diakonie-Katastrophenhilfe“, Cornelia Füllkrug- Weitzel, die Intransparenz und die Zusammensetzung des EU-Coronaprojektes. Konkret kritisierte sie, dass bei der Geberkonferenz für den milliardenschweren Kauf von Impfstoffen nur Politiker*innen und Impfstoffhersteller*innen mit am Tisch saßen. Sie forderte die Beteiligung der Zivilgesellschaft an solchen alle betreffenden weltweiten Corona-Projekten.[4]

Das setzt sich gerade fort. Eine Forderung während der Corona-Pandemie war es, Patente auf die Impfstoffe aufzuheben und dafür zu sorgen, dass auch der Globale Süden mit Impfstoffen versorgt werden kann. Eine gute und richtige Forderung. Aber zuallererst muss der Globale Süden, müssten die afrikanischen Staaten und explizit deren Zivilbevölkerung, in den Entscheidungsprozess einbezogen werden, wie sie mit einem solchen Ereignis wie der Corona-Pandemie umgehen wollen. Mit den neuen WHO Verträgen werden diese Länder genötigt, den Krisenbewältigungsweg des reichen Nordens zu gehen, ob es für die Lebenssituation ihrer Bevölkerung gut ist oder nicht. Die Sterblichkeit in der Corona-Pandemie war, abgesehen von Südafrika, in den meisten afrikanischen Ländern gering. Die Sterblichkeit durch Lockdowns, sprich die Zerstörung der existenziellen Bedingungen und so der Möglichkeit, sich ernähren zu können, stiegen dagegen an. In Mexiko hatte der Präsident Lopéz Obrador verfügt, dass StraßenverkäuferInnen von den Lockdowns ausgenommen sind. Klar, was nützt es, Gesundheitsvorschriften zu erlassen und die Menschen sterben dann an Unterernährung. Solche falschen Ausrichtungen können nur korrigiert werden, wenn viele Menschen an den Entscheidungen beteiligt sind – jedenfalls weitaus mehr, als es in diesen Geberkonferenzen der Fall war, bei denen hauptsächlich die am Tisch saßen, die daran verdient haben. Stattdessen wird weiterhin auf denselben paternalistischen Politikstil gesetzt. Am 18.12.2023 wurde, mit finanzieller Beteiligung Deutschlands, eine kommerzielle Produktionsstätte von BionTech für mRNA-Impfstoffen im afrikanischen Ruanda eröffnet. Das Narrativ dabei: Impfstoffe für alle und dabei möglichst gute Geschäfte für unsere deutschen Firmen. Die Frage, wie gut mit einer Pandemie unter den Voraussetzungen von Ruanda umgegangen werden kann, wo in der Form des Zusammenlebens Risiken bestehen, aber auch, welche Möglichkeiten die traditionelle Medizin zu bieten hat, diese Frage ist nicht gestellt worden. Vielleicht würde an dieser Antwort auch niemand verdienen – jedenfalls nicht Firmen wie BionTech.

 

Was ist also am neuen WHO Vertrag zu kritisieren?

Das hehre Ziel „Gesundheit für alle“ ist und bleibt als gemeinsame Zielsetzung eine Errungenschaft in der Internationalen Gemeinschaft. Problematisch wird es, wenn die Definierung dessen, wie dieses Ziel erreicht werden kann, einer kleinen Handvoll Menschen übertragen wird, die keinerlei Kontrolle oder Rechenschaft unterliegen. Selbst wenn es sich um nicht korrupte, gutmeinende Menschen handelt, ist die Ausschaltung einer demokratischen Mitbestimmung und hierbei sogar über den eigenen Körper, fatal. Wer sich genauer mit dem Regelwerk der neuen Verträge auseinandersetzt, sieht in welchem Ausmaß die paternalistische Aneignung über Gesundheit und Leben der acht Milliarden Menschen in Planung ist.

[1] Vgl. www.destatis.de, abgerufen am 21.4.2024

[2] Vgl. Basistabelle Lebenserwartung bei Geburt. www.destatis.de, abgerufen am 21.4.2024

[3] Vgl. Nortrud Semmler: Die Pläne der WHO. Gesundheitsvorschriften und Pandemieabkommen. Natur & Heilen 3/2024, S30 ff.

[4] Vgl. Live-Blog zum Coronavirus in BW: Montag 4. März 2020- Untertitel:  „Brot für die Welt“ kritisiert Zusammensetzung des EU-Coronaprojekts, 12:36 Uhr

Anmerkung: Anbei der vollständige Text: „Die Präsidentin der Hilfswerke „Brot für die Welt“ und „Diakonie Katastrophenhilfe“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, will auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft an weltweiten Corona-Projekten. Füllkrug-Weitzel kritisierte am Montag im SWR, dass bei der von der Europäischen Union (EU) initiierten Online-Geberkonferenz nur wenige Menschen aus Entwicklungsländern beteiligt seien und auch die Zivilgesellschaft nicht eingeladen worden sei. Dabei seien zivilgesellschaftliche, kirchliche Einrichtungen nun mal diejenigen, die an die 50 Prozent aller Gesundheitsstrukturen in Afrika betrieben, sagte Füllkrug-Weitzel weiter. Sie bezweifle, dass die EU die richtige Instanz zur weltweiten Koordinierung von Corona-Hilfen sei. In Bezug auf das Online-Projekt sei völlig unklar, was mit den eingesammelten Geldern der Online-Geberkonferenz geschehe.“